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Überall treffen wir auf Veröffentlichungen zu einer neuen Führung. Ausgangspunkt ist ein erwarteter radikaler gesellschaftlicher Wandel durch Globalisierung und Digitalisierung. Beide Herausforderungen erfordern von den Unternehmen disruptive Veränderungen und eine besonders hohe Innovationsdynamik. Die Protagonisten behaupten, dass man die Zukunft nur mit einer neuen Art der Führung meisten kann. Auch ich bin überzeugt, dass wir eine neue Führung brauchen, oder besser gesagt eine neue Philosophie der Führung.
Die neue Philosophie der Führung hat als Ziele, die wahrgenommene Komplexität zu besiegen und die Dynamik in den Unternehmen erhöhen. Damit werden auch die Wettbewerbsfähigkeit gefördert und Innovationen hervorgebracht. Wie kann man aber als Führungskraft den richtigen Weg finden? Ein vermeintlich sicherer Weg ist die Anwendung einer bestimmten Methode. Immer wieder tauchen neue Ansätze auf, die den Unternehmen Vorteilspositionen bringen sollen oder Schwächen schnell und sicher ausräumen sollen. Tatsächlich gibt es auch einige Ansätze, die den Unternehmen echte Verbesserungen gebracht haben. Denken wir nur an die Marketing-Methode, die Gemeinkostenwertanalyse, das Business-Process-Reingeneering oder auch die zahlreiche Management-by-Ansätze.
Doch die hier gemachte kleine Aufzählung zeigt ein Dilemma. Die erwähnten Ansätze sind nur ein kleiner Ausschnitt der Alternativen und sie sind nicht repräsentativ. Die Liste der Management- Methoden lässt sich nahezu unendlich verlängern. Neben einer ganzen Menge wissenschaftlicher Ansätze stehen weitere unzählige Methoden aus der Praxis. Zur zeit sind Design-Thinking, Agile Strukturen, Hierarchielose Organisationen, Scrum und Holocracy in aller Munde. Und nahezu täglich kommen neue Veröffentlichungen dazu. Man kann das Unternehmen über die Kundensicht, den Shareholder-Value, die überragende Qualität, die operative Excellenz, die Balanced-Score-Card oder, wenn es sein muss, auch durch die Mäusestrategie in eine gute Zukunft führen. Es ist kaum noch möglich „die“ richtige Methode für das Unternehmen auszuwählen. Zu dicht ist der Methodendschungel bereits zugewachsen.

Alles eine Frage der Perspektive

Die Anzahl der modernen Führungs- und Management-Methoden ist ebenso groß wie die Anzahl der verschiedenen identifizierten Problemkreise. Dementsprechend ist die Methodenvielfalt auch sehr stark von der Wahrnehmung der Problemlage und der Beurteilung von notwendigen Verbesserungen abhängig. Die speziellen Perspektiven sind Ausdruck unterschiedlicher Meinungen. Alle Vorschläge verfolgen eine Optimierung aus der besonderen Sichtweise des jeweiligen Fachgebietes. So stammen die Ausarbeitungen zur Führung in den meisten Fällen aus der Feder von sozialwissenschaftlich- psychologischen Autoren. Die Management-Methoden wiederum werden sehr häufig von Beratern entwickelt und propagiert. Die Anzahl der vorgeschlagenen Ansätze explodiert und gleichzeitig entsteht ein Bewertungsproblem. Während die Einen aufgrund ähnlicher Betrachtungsstandpunkte zu Promotoren einer ganz bestimmten Methode werden, werden Andere ‑ ausgehend von ihrer differenten persönlichen Basis ‑ schnell an den Erfolgsaussichten genau der vorgeschlagenen neuen Methode zweifeln. Die vielen aus einer Spezialisierung hervorgegangenen Rezepte werfen die Frage auf, ob die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen nicht zwingend auf einer übergeordneten Sicht der Dinge basieren muss. Meine Antwort ist: Ja ,wir brauchen eine übergeordnete Sicht der Dinge. Und meine Antwort ist, dass wir diese Metaperspektive in der Philosophie finden.

Das Auswahlproblem

Sollen innovative Unternehmen durch den Einsatz einer bestimmten Methode erreicht werden, muss die Führung aus der Menge der Angebote, die richtige Auswahl treffen. Dazu bedarf es eines anerkannten Bewertungsmaßstabes, um sozusagen eine Schneise in den Dschungel zu schlagen. Wenn die verschiedenen Ansätze aber aus dem Blickwinkel einer Spezialisierung oder einer individuellen Wahrnehmung ihrer Entwickler entstehen, wird man keine allgemein anerkannten Beurteilungskriterien finden. Vielleicht mit der Ausnahme bestimmter Modeerscheinungen, die immerhin den Vorteil haben, größere Mengen an Leuten hinter sich zu vereinigen. Es ist aber keinesfalls sicher gestellt, dass das Mitlaufen in eine allgemein anerkannte Veränderungsrichtung tatsächlich die gewünschten Erfolge bringt.
##Viele Methoden finden keine Mehrheit
Das Ergebnis dieser Überlegungen ist: Was die Methodenvielfalt angeht, fehlt es an klaren Wertmaßstäben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht wahrscheinlich, dass der Einsatz einer bestimmten Methode einen Konsens über die richtige Vorgehensweise zustande bringt. Es bleibt sogar fraglich, ob die Anwendung einer bestimmten Methodik zur richtigen sachlichen d.h. unternehmensindividuellen Problemerkenntnis beiträgt oder gar den richtigen Lösungsansatz hervorbringt. Eine starke Skepsis ergibt sich aus der Tatsache, dass die meisten zur Zeit diskutierten innovativen Methoden die Ausgangslage nur unzureichend aufnehmen und bewerten.

Die Dialektik der Philosophen

Also starten wir einmal mit einer philosophischen Betrachtungsweise . Als Begründer der Dialektik und damit der Methodologie wird gemeinhin Zenon von Elea angesehen. Sein Anliegen bestand darin, die Ansicht seines Lehrers Parmenides, dass jede Bewegung nur ein Schein sei, gegen alle Angriffe zu verteidigen. Die von Ihm erfundene Methode war die Beweisführung durch die Darstellung des überspitzten Gegenteils. So argumentierte er, dass die Bewegung schon dadurch unmöglich ist, dass sich das Bewegte weder da, wo es gerade ist, noch da, wo es nicht (noch und schon nicht) ist, bewegt.
Mit dem Vorgehen kritische Gegensätze gegenüber zu stellen, hat er die ersten methodisch sauber hergeleiteten Beweise geführt, die von anderen Denkern seiner Zeit nur schwerlich widerlegt werden konnten. Aus dem Rückgriff auf die Philosophie können wir zwei wesentliche Dinge lernen. Erstens war die Entwicklung der Methodik zweckgebunden. Die Methode der Beweisführung ist nicht der allgemeinen Erkenntnistheorie geschuldet gewesen, sondern dem klaren Anliegen bestimmte Thesen zu untermauern. Zweitens hat die Anwendung der Methode inhaltlich zu falschen Ableitungen geführt.

Methodik als Handwerkszeug

Die Methodik ist lediglich eine Richtschnur, mit der man quasi sein handwerkliches Vermögen zur Ableitung von Erkenntnissen aufzeigen kann. Der richtige Einsatz einer Methodik schließt systematische oder offensichtliche Fehler aus und ist daher für die Rechtfertigung der vorgelegten Ergebnisse sehr dienlich. Aber die Ergebnisse sind keinesfalls verlässlich. Denken Sie nur an die teilweise methodisch sauber erarbeiteten Business Pläne aus der Boomphase der New Economy. In den allermeisten Fällen wurden handwerklich sauber ‑ zumindest bei den großen Deals – hervorragende Zukunftsszenarien gemalt, die sich leider alle nicht erfüllt haben. Oder denken Sie an die zahllosen Strategiepapiere, die analytisch gut fundiert sind, ebenso professionell vorgetragen werden und dennoch nie Wettbewerbsvorteile für die Unternehmen geschaffen haben.
Die methodisch hergeleiteten Ergebnisse sind inhaltlich nicht wertfrei und bedürfen in vielen Fällen weiteren Überprüfungen und der Anreicherung um weitere Aspekte. Das wissen wir auch aus zahlreichen Präsentationen: Klar strukturierte Charts und logische Schlussfolgerungen beeindrucken auf den ersten Blick, um dann doch von den Entscheidungsträgern noch einmal kritisch hinterfragt zu werden. So wie man über die Inhalte streiten kann, kann man eben auch über die richtige Methodik durchaus unterschiedlicher Meinung sein.

Methoden demokratisieren Wissen

Auch in der Philosophie als grundlegender Wissenschaftsdisziplin ist im Laufe der Geschichte nicht unerheblicher Streit über die richtige Methodologie entbrannt. Durch die Ausbildung von Teildisziplinen haben sich verschiedene Methoden etabliert, die jede für sich einen gewissen Überlegenheitsanspruch auf dem Weg zur Wahrheit proklamiert hat. Die zunehmende Spezialisierung führte einerseits zu einer erheblichen Verbreiterung des Wissens und andererseits zum Werteproblem der richtigen Ausschnittbildung.
Ein ganz besonders interessanter Aspekt in Bezug auf die Methodenvielfalt ist folgende These: Methoden dienen der Verbreitung von systematischem Wissen im Unternehmen. Es ist unumstritten, dass die Anwendung einer bestimmten Methode in den meisten Fällen schnell und zuverlässig saubere Ergebnisse liefert. Ist die Vorgehensweise in sich schlüssig, führt Sie immer zu einem sauber hergeleiteten Ergebnis, das gut gegen viele Einwände verteidigt werden kann. Und so locken zahlreiche Ratgeber mit dem Versprechen, in wenigen Schritten zum Erfolg zu kommen. Es werden leicht verständliche Check- Listen vorgelegt, deren einfache Abarbeitung den Weg in eine bessere Zukunft zeigen sollen. Alles ist ganz einfach! Natürlich nicht für den Erfinder der neuen Methode. Er muss in einem intellektuellen Prozess das Werkzeug sauber entwickeln. Die Anwender jedoch haben den Vorteil, auf dieser Basis aufsetzen zu können. Wenn die Vorarbeiten durch die Erfinder der Methode schon erledigt sind, dann kann es eben auch schnell ans Werk gehen. Folgt man dabei noch einer Modewelle ist der Beweis der Wirksamkeit sowieso schon erbracht. Tatsächlich vielleicht in innovativen Unternehmen, aber eben auch das insgesamt positive Image der Methode, das jeden weiteren Beweis entbehrlich macht. Die große Verbreitung einzelner Methoden ist wie eine Einladung zum Mitmachen. Und weil die intellektuelle Arbeit schon getan ist, muss man selber auch nicht mehr groß nachdenken. Es gilt die Devise: Abhaken statt Verstehen! Das kennen ja viele auch schon aus dem Studium mit überfüllten Hörsälen und fragwürdigen Lehrmethoden.

Den Startpunkt bestimmen

Was die Unternehmen benötigen, um sich fit zu machen, ist ein tiefgreifendes Verständnis oder besser die Bereitschaft zum wirklichen Verstehen der Ausgangslage und der daraus abzuleitenden Entwicklungen in der Zukunft. aber jeder Weg hat nicht nur ein Ziel, sondern auch einen Start. Wenn Sie sich nicht klar machen, wo Sie und Ihr Unternehmen stehen, können Sie den Weg nicht beschreiben. Das Ziel der Zukunftssicherung bleibt eine Vision. Hierarchielose Organisationen verharren als Wunschdenken. So wie der Olymp eben auch unerreichbar war. Ohne definierte Ausgangslage ist es wie bei Zenon. Es gibt keine Bewegung. Das können wir aus dem philosophischen Abstraktum lernen.

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