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Kommentar Wie weiter mit New Work? Das fragt sich unser Gastautor Guido Schmidt. Und meint: Es ist gut, dass das Kreisen um individuelle Befindlichkeiten ans Ende zu kommen scheint. Er plädiert für mehr Gemeinschaftssinn statt Individualismus.

Dr. Guido Schmidt, newmanagement.haufe.de 21.Oktober 2020

Old Management statt New Work?

New Work war eines der Schlagwörter vor der Pandemie. Die Corona-Krise hat diese Diskussion sogar noch einmal befeuert. Homeoffice, Video-Calls und eine Arbeitswelt im Arbeitszimmer oder gar am Küchentisch werden zurecht als Elemente einer neuen Arbeitswelt angesehen. So kommt die Frage auf, was denn von diesen Errungenschaften in die Zeit nach der Pandemie gerettet werden kann und soll. New Normal ist das neue Schlagwort.

Da sich gezeigt hat, dass die neuen Gegebenheiten viele Vorteile mit sich bringen, fordern nicht wenige Autoren, nach der Pandemie weitere Aspekte von New Work anzugehen. Doch da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Wenn man sich die wirtschaftliche Entwicklung anschaut, gibt es einige Hinweise darauf, dass wir temporär zum Old Management zurückkehren werden.

Vom exogenen Schock zur strukturellen Krise

Corona mit all seinen Maßnahmen der Bekämpfung sind ein exogener Schock. Unerwartet und ohne eigenes Verschulden ist plötzlich eine Krise entstanden. So hegen viele die Hoffnung, dass nach der Pandemie wieder vieles wird wie früher. Die Frage ist nur, wann und wie schnell. In der Krise haben wir gelernt, dass man sich vernünftigerweise auf die Wissenschaft verlassen sollte. Reihenweise melden sich jetzt Wirtschaftswissenschaftler mit Zukunftsszenarien zu Wort. Diskutiert wird eine V-Kurve oder, wenn es schlecht läuft, eine U-Kurve. Und da es eben Wissenschaft ist, also alles fundiert und objektiv ist. Muss es ja auch so kommen. Wissenschaftler zeigen uns verschiedene positive Entwicklungen auf und geben uns die Hoffnung, dass es alsbald ein New Normal geben wird. Neue Infektionszahlen verpassen uns dann wieder einen gehörigen Dämpfer.

Es besteht doch kein Zweifel, dass unsere Gesellschaft schon seit Jahren von deutlichen Veränderungen geprägt ist. Ganze Wirtschaftszweige stehen für eine Old Economy, deren Zukunftsfähigkeit zurecht angezweifelt wird. Über Kohle und Stahl läutet die Totenglocke, so laut, dass wir Sie von den Braunkohlerevieren bis in unsere Metropolen hören. Der Kraftwerksbau versucht bis heute, mit Techniken des letzten Jahrhunderts zu punkten. Die Chemieindustrie hat einen Schwerpunkt in der Bekämpfung der Natur, den sie Schädlings- und Unkrautbekämpfung nennen. Die Automobilindustrie träumt immer noch vom Vier-Personen-Haushalt mit vier Fahrzeugen. Die Banken suchen den Heiligen Gral eines zukunftsfähigen Geschäftssystems und werden sicher sterben, ehe sie ihn gefunden haben.

So sehen denn viele Wirtschaftsexperten eine riesige Insolvenzwelle auf uns zukommen. Wenn die kurzfristig wirksamen Maßnahmen der Regierung nicht mehr greifen, werden wir zum Ende des Jahres von einem Tsunami an schlechten Unternehmensnachrichten überrollt. Diese Entwicklung ist unaufhaltsam, und es ist kein exogener, sondern ein endogener Schock. Selbst verursacht durch ein Festhalten an alten Geschäftssystemen und Strategien. Geradezu herauf beschworen durch die Bequemlichkeit des Status Quo vor der Krise. Politisch mitverursacht durch die mangelnde Bereitschaft zur Veränderung. Unternehmerisch verantwortet durch eine nicht rechtzeitige Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.

Was leistet New Work in der Krise?

Die Vorzüge einer dezentralisierten, digitalisierten und vertrauensvollen Zusammenarbeit sind in der Pandemie deutlich geworden. Die Wohnzimmeratmosphäre modern eingerichteter Büros findet jetzt in den eigenen Vier Wänden statt. Ob der Kickertisch wirklich vermisst wird, weiss ich nicht. Der Verzicht auf Geschäftsreisen hat die effektive Arbeitszeit deutlich erhöht. Die Videokonferenzen führen zu schnelleren Terminvereinbarungen und effizienteren Sitzungen. Also viel Positives, was auch in einer strukturellen Krise mit dramatischen Personalanpassungen wohl erhalten bleibt.

Nie wieder Zettel kleben? Foto: Polina Zimmermann
Nie wieder Zettel kleben? Foto: Polina Zimmermann, Pexels

Es gibt aber auch einen klaren Wendepunkt. Die Leistung und nicht das Betriebsklima rücken wieder in den Vordergrund. Die verbleibenden Menschen in den Unternehmen müssen wieder funktionieren und zwar in der Gruppe. Es ist ja alternativlos, in einer strukturellen Krise auch drastische Personalanpassungen vorzunehmen. Die bei rückläufigen Umsätzen verbliebene Arbeit wird also auf weniger Köpfe verteilt. Effizienz wird zum Gebot der Stunde.

Viele Aspekte von New Work dienten dem Betriebsklima. Man wollte mit einer neuen Arbeitswelt junge Talente gewinnen und die Zufriedenheit der Belegschaft erhöhen. Ein schöner Luxus, wenn es denn gut läuft. Mit der echten Wirtschaftskrise wird New Work als teures Hobby der Personaler deklariert. Das Coaching und Trainings werden ebenso dem Roststift zum Opfer fallen wie Diversity Initiativen. Die Coaches und Trainer in Deutschland können das jetzt schon erkennen. Diese Einzelunternehmer sind durch die Kontaktverbote zu Beginn der Pandemie auf Umsätze nahe Null zurückgefallen. Es zeichnet sich aber trotz der mittlerweile deutlichen Entschärfungen kein New Normal ab. Die Protagonisten des New Work werden unter der Deutungshoheit der Insolvenzverwalter wohl fürs erste zuhause bleiben müssen. Ohne Arbeit, also nicht Homeoffice, sondern Abwasch und Bügelbrett.

Warum eine Abkehr von New Work gar nicht schlecht ist

Fritjof Bergmann hat es immer und immer wieder wiederholt. Der Kern von New Work ist die Frage „Was man wirklich wirklich will“. Besser kann man den ausgeprägten Individualismus als Kern der Bewegung wohl gar nicht ausdrücken. Auch wenn man Work-Life-Balance in Work-Life-Blendung umbenennt, so bleibt doch der Kern das individuelle Glück, das man nicht nur im Privaten, sondern auch in der Arbeit finden will. Die Gemeinschaft soll Rücksicht nehmen auf individuelle Lebenssituationen, den selbst definierten Sinn des Lebens und die eigene (diverse) Persönlichkeit.

Keine Gemeinschaft lebt von der Einzigartigkeit und dem „Pursuit of happiness“ des Einzelnen, sondern von der gemeinsamen Vision und der gemeinsamen Mission. Wir hatten einen American Dream importiert, bei dem der einsame Held die Welt zum Besseren führt. Schwarzenegger, Bruce Willis und Silvester Stallone lassen grüßen. Im amerikanischen wird „ich“ großgeschrieben.

Zum Glück wird das in der Wirtschaftskrise nach der Pandemie vorbei sein. Schon jetzt, während die Infektionszahlen steigen, suchen wir weder die Gemeinschaft, die soziale Beziehung. Wir würdigen auf einmal wieder Berufe, die aufgrund ihre sozialen und nicht wirtschaftlichen Leistung Gutes vollbringen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist zu Einschränkungen im Sinne der Volksgesundheit bereit. Die Individualisten, die sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen, sind mit Ihren Aluhüten klar zu erkennen und zum Glück nur eine kleine Gruppe von Spinnern.

Vom Individuum zur Gemeinschaft

Extrawürste haben in Insolvenzen keinen Platz mehr. Schon die Bestellung eines Insolvenzverwalters legt die Perspektive vom einzelnen Gesellschafter auf die Gruppe der Gläubiger. Alle an der Restrukturierung Beteiligten, ob Verwalter, Chief Restructuring Officer, Führungskräfte, Mitarbeiter und sogar der Betriebsrat ziehen not gedrungen an einem Strang; und das hoffentlich kräftig. Eine strukturelle Krise führt zu einer herausfordernden Mission für die ganze Truppe: Den Erhalt des Unternehmens.

Ausgeprägter Individualismus ist nicht unsere Kultur und sollte es auch unter New Work nicht sein. Endlich kommt es zu einer Begrenzung des Individualismus in der Gemeinschaft. Die Krise wird diese gute Entwicklung ganz sicher beschleunigen. Wenn es eng wird, muss man zusammenhalten. Wenn die Zeiten schlechter werden, muss die Soziale Verantwortung wieder zunehmen.

Weniger ich-bezogener Individualismus, mehr Gemeinschaft: Darauf hofft unser Autor.
Weniger ich-bezogener Individualismus, mehr Gemeinschaft: Darauf hofft unser Autor.

Tatsächlich werden die guten Krisenmanager die Gemeinschaft wieder ins Gedächtnis zurückrufen. Ich selber arbeite schon seit mehr als 20 Jahren in der Restrukturierung. Es hat mich immer wieder erfreut, wie man trotz harter Einschnitte gemeinsam die Wende geschafft hat.

Wie sagte schon Anaximander: „Nach ewigem Gesetz gehen aus dem Unbestimmt-Grenzenlosen immer neue Welten hervor und kehren wieder in dasselbe zurück, einander Strafe und Buße gebend für die Ungerechtigkeit nach der Ordnung der Zeit“. So ist es denn wohl auch mit dem übertriebenen Individualismus von New Work.

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