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Die moderne Wirtschaft entdeckt ihre humane und naturnahe Seite. Dieser neue Deutschen Naturalismus kann und wird ein Erfolgsmodell für den Wirtschaftsstandort Deutschland werden.

Von Dr. Guido Schmidt die-deutsche-wirtschaft.de,

Die wirtschaftlichen Diskussionen haben sich in den letzten Wochen deutlich verändert. Vor der Pandemie wurden in der Wirtschaft drei Themen intensiv diskutiert: Globalisierung, Digitalisierung und New Work. Allein die Schlagworte reichten aus, gleichermaßen Zukunftsphantasien und Zukunftsängste herauf zu beschwören. Die Wirtschaft kannte nur eine Richtung, nämlich nach oben und es ging allein um die Frage, wie man diesen Trend halten und gestalten kann.

Die Gesellschaft hatte zwei ganz andere Themen: Klimaerwärmung und Umweltschutz. Streikende Schüler hatten sich der Sache angenommen und fordern die Etablierten in Politik und Wirtschaft heraus. Ein kleines Mädchen hatte es mit einem Pappschild bis zur  mächtigsten Frau der Welt geschafft. Ihre Botschaft, die Politik und die Wirtschaft kommen über Lippenbekenntnisse bei Umweltfragen nicht hinaus und zerstören die Zukunft der jüngeren Generation. Moderne Gesellschaften sollten mit dem Primat der Wirtschaft brechen und dem Umweltschutz endlich eine echte Chance geben.

Warum ist das eigentlich so, dass wir Ökonomie und Ökologie als Gegensätze verstehen? Warum sehen wir einen grundlegenden Widerspruch zwischen gutem und nachhaltigen Wirtschaften? Wovon hängt der echte Wohlstand eines Landes ab, von dem nachhaltigen Umgang mit der Natur, oder von der Leistungsfähigkeit einer modernen Industriegesellschaft?

Die Unvereinbarkeit von Wirtschaft und Natur ist nicht logisch, sondern soziologisch begründet. Es sind alte Bilder, vorgefasste Meinungen und zurück liegende Erfahrungen, die uns glauben lassen, das hier ein Widerspruch besteht. Ganz im Gegenteil, eine ökologische Ausrichtung der Wirtschaft ist die Chance für die Zukunft. Viel mehr als Digitalisierung und Globalisierung. Aber der Reihe nach.

Öko gegen Öko

Wenn wir an Wirtschaft denken, haben wir sofort Bilder im Kopf. Wie sehen vor unserem geistigen Auge erfolgreiche Menschen in grauen Anzügen, ausgestattet mit allerlei Insignien des Erfolges. Das Handy, das Reisegepäck, der Firmenwagen, der Büroturm oder das Podium, alles das sind in uns gespeicherter Bilder. Im Kern wird mit Wirtschaft und erfolgreichen Managern Wohlstand und Luxus assoziiert. Wie selbstverständlich sprechen wir von der Wirtschaft als der Welt der Zahlen und eben nicht der realen Welt. Es riecht überall nach Profit. Eine kalte und abstrakte Welt beherrscht unsere Vorstellungen.

Auf der anderen Seite sind genauso stereotype Bilder gespeichert. Aus den Anfängen der Friedens- und Umweltbewegung kennen wir selbst gestrickte Pullover, Jeans, Turnschuhe und Menschen, die sich bei Wind und Wetter für eine „gute Sache“ einsetzen. Das verbindende Element von damals über 600 Bürgerinitiativen war der Widerstand. Widerstand gegen Technik und wirtschaftliche Interessen. Widerstand gegen Atomindustrie, Chemieindustrie, Kohle- und Stahlindustrie. Die Umweltschützer betonten ausdrücklich das Menschliche in einer technokratischen Welt. Sie standen aber auch dem Fortschritt entgegen.

Die Gegensätze von damals sind noch heute die Grundlage unserer Beurteilung. Kaum jemand würde bei der Ratio, Ökonomie ist das Gegenteil von Ökologie widersprechen. Auf der einen Seite ein Wohlstandsversprechen durch technologischen Fortschritt und  eine industrialisierte Wirtschaft. Auf der anderen Seite die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft durch gezielten Verzicht und eine ausgeprägte Betonung menschlicher und sozialer Aspekte.

Geld stinkt nicht – oder doch?

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Pecunia non olet! So ist es seit dem ersten Jahrhundert nach Christus überliefert. Damals hatte der römische Kaiser Vespasian Steuern auf Latrinengänge erhoben und sich damit die Kritik seines Sohnes Titus zugezogen. Tatsächlich war es eine Steuer auf Gestank, das Geld selber stank eben nicht, sondern machte allenfalls stinkreich.

Heute leben wir tatsächlich in einer Zeit, in der der alte römische Grundsatz zu einiger Perfektion weiter entwickelt wurde. Es gibt tatsächlich Fälle, bei denen nach bestem amerikanischen Vorbild der wirtschaftlichen Erfolg über allem steht. Rücksicht und Weitsicht werden zugunsten des kurzfristigen Cash aufgegeben. Tatsächlich sind es die langen Schatten einer Industriegesellschaft und einem omnipräsenten Management.

Das mittlerweile inflationäre Management, dass 1911 durch Winslow Taylor erfunden wurde, propagiert eine industrielle Wirtschaft, die sich allein der Logik verschreibt. Alles Tun ist sachlogisch und unausweichlich, die scharfen Worte heißen „alternativlos“ und „systemrelevant“. Damit die Logik sich auch wirklich durchsetzt, ist aus der Wirtschaft eine Welt der Zahlen geworden. Eine Parallelwelt also, die eigenständig und in sich geschlossen gesehen wird und die sich konsequenter Weise allen nicht rechnerischen und mathematischen Aspekten verschließt. Kein gutes Gefühl, keine Wertefragen, sondern umfangreiche Analysen und harte Fakten. Und wenn die Zahlen nicht stimmen, dann ist schon gar nicht die richtige Zeit für Gefühlsduselei. Man muss mit allen Mitteln  auf die Erfolgsspur und zu hohen Börsenkursen zurück. Ein werteorientierter Stakeholder Value wird dann zum reinen Lippenbekenntnis.

Zeitenwende

Wir waren schon einmal an der gleiche Stelle wie heute. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts folge auf die von Logik durchtränkte Zeit der Aufklärung eine neue Phase: die Romantik. Die Romantik entsprang dem unaufhaltsamen Bedürfnis von den starren und geradlinigen Formen der Klassik fort zu kommen. Sie stellte der theoretischen wie praktischen Vernunft eines Kant etwas fundamental anderes gegenüber: Das Gefühl. Auf einmal kamen Worte wie Sehnsucht, Naturverbundenheit und Werte in den vormals so logischen und kalten Alltag zurück.

Die Romantik war eine Zeit der Hochblüte in Deutschland. Sie war aber nicht getragen von beseelten Spinnern, sondern basierte auf einem klaren philosophischen Gerüst. Es war die Zeit des Deutschen Idealismus mit den Vertretern Hegel, Fichte, Schelling. Ihr Anliegen war eigentlich ganz einfach. Man wollte wieder das Ganze, die Welt und die Zusammenhänge verstehen. Die Ausgangslage des deutschen Idealismus war eine Fragmentierung des Weltbildes durch die damaligen Wissenschaften. Man konnte durch umfangreiche Analysen zwar einzelne Wissensgebiete und das Kleinteilige beschreiben, das Große Ganze war aber in der Aufklärung vollkommen aus der Betrachtung  verschwunden. Der Anspruch der Philosophen war es nun, von der reinen Logik und einem mechanistischen Weltsicht weg zu kommen. Das Ziel war ein umfassendes Verständnis dessen, was uns umgibt und was wir sind.

Der neue deutsche Naturalismus

Mit den vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Klimaerwärmung und den katastrophalen Folgen sowohl für die Natur als auch für die Menschheit, hat sich in der modernen Wirtschaft eine zunehmende Sensibilisierung bei Umweltfragen ergeben. Man kann sicher konstatieren, dass die Parallelwelt der Wirtschaft nicht mehr isoliert betrachtet wird, sondern in einen Gesamtzusammenhängen gestellt wird. Die Welt der Zahlen wird eingeordnet in einen größeren Kosmos und erweitert um wichtige Wertefragen. Die allermeisten deutschen Manager fühlen sich bei zerstörenden, naturschädlichen und menschenfeindlichen Geschäften einfach nicht mehr wohl. Die Wirtschaft entdeckt ihre humane und naturnahe Seite. Man übernimmt so langsam immer mehr Verantwortung.

Dieses gesellschaftliche Phänomen möchte ich als neuen Deutschen Naturalismus bezeichnen. Denn wir müssen genau die gleichen zwei Dinge tun, wie vor 200 Jahren. Das Ganze, also die Welt in der wir leben, verstehen und eine emotionale Intelligenz entwickeln, die über die reine Logik und Technokratie der letzten Jahrzehnte hinaus geht. Wir müssen uns als Teil der Welt sehen und nicht als Beherrscher der Natur. Wir sind eben nicht Gottes Abbild und können daraus auch keine unbegrenzten Freiheiten ableiten.

Der neue deutsche Naturalismus ist, anders als viele vielleicht denken, kein Alternativmodell zu Wirtschaft, sondern eine Startrampe für eine neue, naturnahe Wirtschaft. Ein deutscher Naturalismus kann und wird ein Erfolgsmodell für den Wirtschaftsstandort Deutschland werden.

Die deutschen Wirtschaft ist unter Druck

Unsere Wirtschaft ist zur Zeit besonders unter Druck. Es gibt ganze Branchen, die durch den exogenen Schock der Pandemie in schwieriges Fahrwasser gekommen sind. Touristik, Flugverkehr, stationärer Handel, Gastronomie sind in einer dramatischen Lage. Viel schlimmer ist aber, dass unsere Gesellschaft schon seit Jahren von deutlichen Veränderungen geprägt ist. Ganze Wirtschaftszweige stehen für eine Old Economy, deren Zukunftsfähigkeit zurecht angezweifelt wird. Die Textilindustrie hatte sich als erste aus Deutschland verabschiedet. Das Stahlgeschäft buhlt um staatliche Hilfen. Der Kraftwerksbau hat keine Zukunftstechnologien im Koffer. Die Chemie will die Natur oder die Ausbreitung natürlicher Schädlinge ausrotten. Die Kunststoffindustrie steht für die Belastung der Meere. Die Automobilindustrie zählt noch in Stück und nicht in Verkehrskonzepten und muss einen globalen Rückgang von 30% verkraften.

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Dazu kommen Veränderungen die alle Industriebetriebe treffen. Die sind nämlich auf eine globale Verteilung angewiesen, die zunehmend kritisch hinterfragt wird. Immer feinmaschigere Lieferketten haben das Versorgungsrisiko der Betriebe erhöht. Neue geopolitische Cluster erschweren den Warenaustausch mit etablierten Kunden. Die bittere Erkenntnis ist, dass alles seine Zeit hat. Eben auch die Industrie und einige  Branchen. Doch viele Manager hoffen noch auf ein V- oder U Szenario und glauben, nach der Pandemie wird alles wie früher. Doch weit gefehlt, denn dann kommen die strukturellen Veränderungen zum tragen.

„Corona hat gar nicht viel verändert, sondern nur Entwicklungen beschleunigt“

„Corona hat gar nicht viel verändert, sondern nur Entwicklungen beschleunigt“

Aus Öko gegen Öko kann eine Ökosophie werden

Es ist also unausweichlich, neues Terrain neben der traditionsreichen Ingenieurkunst der Herren Daimler, Porsche, Siemens und Bosch zu entwickeln. Sie sind die Ikonen einer untergehenden Welt. Der globale Trend zum Klimaschutz und zur Umweltökonomie zeichnet sich doch deutlich ab. Hier entsteht sich ein weltweites Wachstumsfeld.

Das Ziel muss es sein, den Widerspruch von Ökonomie und Ökologie im Sinne einer Ökosophie aufzuheben. Wenn man das durchdenkt, dann kommt man zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass man Geld nicht nur mit solchen Dingen verdienen kann, die „stinken“ oder der Umwelt schaden. Der Wertschöpfung eines Landes ist es doch egal, ob der Euro aus der Verbrennung von Kohle oder aus der Installation einer Photovoltaik Anlage entsteht. Der volkswirtschaftliche Effekt ist erst einmal der gleiche. Es macht in der Welt der volkswirtschaftlichen Zahlen keinen Unterschied, ob der Staat Geld für eine Sanierung der Verkehrswege oder eine Renaturalisierung ehemals industriell genutzter Flächen ausgibt. Es geht also nicht um monetäre volkswirtschaftliche Effekte, sondern um einen Verteilungskampf! Der Wohlstand der Gesellschaft ist bei einer nachhaltigen Wirtschaft gar nicht grundsätzlich in Gefahr, wohl aber Besitzstände.

Um die Chancen einer ökologischen Wirtschaft zu nutzen, kommt der in Deutschland so starke Mittelstand ins Spiel. Die Unternehmer sind viel mehr Gestalter als Verwalter. Die Manager kleben an der Vergangenheit und sehen die Zukunft der Wirtschaft in der

Effizienz, die das Mantra des letzten Jahrhunderts war. Innovationen sind aber  definitionsgemäß nicht effizient. Sie brauchen Ideenreichtum, Mut und finanzielle Spielräume. Die Unternehmer sind es, die Chancen erkennen und bereit sind, Risiken einzugehen. Die Industrie rennt den Kapitalgebern und dem Kapitalmarkt hinterher.

Also löschen wir doch unsere Festplatten im Gehirn und programmieren neu. Nicht  mehr Anzug und Wohlstand gegen Strickpullover und Gutmensch. Nicht mehr Öko gegen Öko, sondern zukunftsfähige Ökonomie durch Ökologie. Eine neue Ökosophie eben.

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